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Der Begriff des „Anzapfens“ beschreibt in einer eher bildlichen Form, was in der Rechtsterminologie unter „Missbrauch der Nachfragemacht“ subsumiert wird. Es handelt sich hierbei um ein Verhalten, bei dem ein marktstarkes Unternehmen seine Marktmacht ausnutzt, um von seinen Lieferanten Leistungen zu fordern, die sachlich nicht gerechtfertigt sind. Um dies zu verdeutlichen, mag folgendes Beispiel dienen: Ein Hersteller möchte seine Produkte über verschiedene Handelsunternehmen an den Verbraucher verkaufen. Der gesamte Markt wird jedoch nur von wenigen Handelsunternehmen bedient, so dass jedes einzelne über einen hohen Marktanteil, beispielsweise 25% verfügt. Der Hersteller ist also faktisch gezwungen, mit dem Händler zusammen zu arbeiten, da er ansonsten 25% der Verbraucher nicht erreicht, beziehungsweise er 25% Umsatzeinbußen hinnehmen muss. Verlangt das Handelsunternehmen nun eine unberechtigte Zahlung, beispielsweise einen „Geburtstagsbonus“ von mehreren zehntausend Euro und droht, die Produkte des Herstellers nicht mehr zu verkaufen, wenn dieser den Bonus nicht bezahlt, kommt der Hersteller in eine Zwangslage und wird im Zweifel auch auf unbegründete Forderungen eingehen.
Das hier gebildete Beispiel ist der Anschaulichkeit halber natürlich vereinfacht und vielleicht auch überspitzt dargestellt, zeigt jedoch die Grundproblematik die vom Missbrauch von Nachfragemacht ausgeht.
Das deutsche Recht begegnet dieser Problematik auf zwei Wegen: Zum einen über das Kartellrecht (GWB) und zum anderen über das Lauterkeitsrecht (UWG). Grund hierfür ist der doppelte Schaden, der durch dieses Verhalten verursacht wird. So wird einerseits der Wettbewerb zwischen den Handelsunternehmen verzerrt, denn kleinere Unternehmen können derartige Forderungen nicht „erpressen“ da ihnen die nötige Nachfragemacht als Druckmittel fehlt. Größere Unternehmen können sich so Wettbewerbsvorteile sichern, die außerhalb des vom freien Markt erstrebten Leistungswettbewerbs stehen. Andererseits schädigt es die Hersteller selbst, die aufgrund ihrer Zwangslage unberechtigte Forderungen zum eigenen Nachteil bedienen.
Durch das GWB wird dieser Missbrauch der Nachfragemacht dann verboten, wenn es sich bei dem nachfragenden Unternehmen um ein marktbeherrschendes Unternehmen handelt oder wenn es sich bei dem „erpressten“ Unternehmen um ein vom Nachfrager abhängiges Unternehmen handelt. Diese Regelung begegnet jedoch Problemen in der praktischen Umsetzung, denn wenn ein Unternehmen schon so abhängig ist, dass es sich auf unberechtigte Forderungen einlässt, wird es um so weniger bereit sein, einen solchen Vorgang dem Kartellamt zu melden und in der Folge seine Vertragsbeziehungen mit dem Handelsunternehmen zu gefährden. Dieser Aspekt wird unter dem Stichwort Roß-und-Reiter-Problematik diskutiert. Der Markenverband setzt sich daher dafür ein, dass Klagerecht der Verbände auch um eine Auskunftspflicht gegen den Rechtsverletzer zu erweitern. Auf diese Weise können Verbände Rechtsverstöße gerichtlich bekämpfen, ohne hierbei offenbaren zu müssen, von welchen Lieferanten die Informationen ursprünglich kamen, da diese im Prozess vom Rechtsverletzer selbst verlangt werden können.
Die Abwehr des Missbrauchs von Nachfragemacht durch das Lauterkeitsrecht kommt neben dem Kartellrecht faktisch nur sekundär in Betracht, denn bei jeder lauterkeitsrechtlichen Bewertung müssen die Wertungen des Kartellrechts mit berücksichtigt werden. Über § 4 Nr. 1 UWG ist dies aber nur dann möglich, wenn in besonderer Weise Druck auf den Lieferanten ausgeübt wird, denn § 4 Nr. 1 UWG schützt die Entscheidungsfreiheit des Lieferanten vor unzulässiger Beeinflussung. Droht der Händler also beispielsweise damit Verträge zu brechen oder berechtigte Forderungen des Lieferanten nicht zu erfüllen, etwa Rechnungen des Lieferanten eigenmächtig zu kürzen, so kann dieses Verhalten als Ausübung von Druck, bzw. unangemessenen unsachlichen Einflusses über das UWG angegriffen werden. Gleiches gilt für § 4 Nr. 10 UWG, wenn ein Händler durch das Anzapfen gezielt seine eigenen Mitbewerber behindert, was zum Beispiel angenommen werden kann, wenn er Einkaufsvorteile zum Nachteil der Mitbewerber durchzusetzen versucht, insbesondere, wenn er hierbei vom Lieferanten eine exklusive Bevorzugung fordert.
Letztlich erfolgt die Bekämpfung solchen Verhaltens aber vornehmlich durch das Kartellrecht, das aber ohne die Lösung des Roß-und-Reiter-Problems ein eher stumpfes Schwert bleibt.